Kritik
Deduktion
Da die Induktion Kropotkin also vermutlich lediglich der Legitimation einer Ideologie diente, kann die auf den Schlußfolgerungen der Induktion aufbauende Deduktion nicht mehr aus erkenntnistheoretischer Perspektive kritisieren. Über eine tatsächliche Realisierbarkeit zu diskutieren ist müßig und auch nicht der Zweck der vorliegenden Arbeit
Hatte Kropotkin "Recht", da sogar im deutschen Strafrecht zunehmend unformale, abolitionistische Verfahren diskutiert werden; oder weil zunehmend auf privater Initiative fußende Institutionen - die NGOs - Staatsfunktionen übernehmen, schafft sich also tatsächlich der Drang nach gegenseitiger Hilfe seine Institutionen? Oder sind seine ökonomischen Prinzipien nicht durchführbar, da heutzutage die Tendenz besteht, auch bei öffentlichen Gütern den Konsum abzurechnen, weil der Welthandel nach wie vor steigt, usw.? Eignet sich die Vertragsform der freien Vereinbarung tatsächlich zur Regulierung sämtlicher Interaktionen? Alles Fragen die nur aufgeworfen, keinesfalls jedoch ideologiefrei diskutiert werden können.
Makroökonomische Strukturen spielen in seinem Wirtschaftsmodell nur eine geringe Rolle, mit Planungen, die Unterschiede und Konflikte zwischen den einzelnen sozioökonomischen Einheiten ausgleicht und regelt, hat sich Kropotkin nicht beschäftigt (Hug, 1989: 84). Ließen sich tatsächlich durch entsprechende Erziehung und Ausbildung intrinsische Motivation so fördern, daß sie als alleiniger Arbeitsanreiz ausreicht?
In diesem Zusammenhang ist wiederum sein Fortschrittsoptimismus zu kritisieren. Es hat sich mittlerweile gezeigt, daß technische Entwicklungen zwar einige eintönige unangenehme Arbeiten abnehmen können, aber bei weitem nicht alle oder um bei Kropotkins gerühmten Spülmaschinen zu bleiben, seine Vorstellungskraft reicht nicht aus um vorherzusehen, daß selbst die Bedienung solcher Gerätschaften eines tages als Belastung empfunden wird.
Die wesentliche Bedeutung Kropotkins liegt darin, daß es ihm gelang den wissenschaftlichen Konformismus seiner Zeit mit der diesem zugrundeliegenden Methodik zu durchbrechen; vermeintlichen Gesetzesartigkeiten, die übergreifend von sämtlichen soziologischen Richtungen anerkannt wurden widersprach er. Und dies durchaus teilweise überzeugend. Trotz aller aufgeführten Mängel ist die Widerlegung des Sozialdarwinismus in dem biologischen Teil von "Mutual Aid" durchaus gelungen, auch in "Landwirtschaft, Industrie und Handwerk" überzeugt er in seiner Argumentation gegen das Konzentrationsgesetz in der Industrie.
In jedem Fall handelt es sich bei Kropotkins Ökonomie um ein relativ geschlossenes Theoriegebäude, daß eine Reihe von Einzigartigkeiten auufweist, einfach aufgrund der Tatsache, daß die antrophozentrische zugrundeliegende Fragestellung seiner Untersuchungen und einige Annahmen sich von denen anderer Theoretiker unterschieden. Seine Außenseiterrolle war die folgerichtige Konsequenz seiner inhaltlichen "Andersartigkeit". Dabei hätte die Wahrnehmung seiner "Außensicht" durchaus mit Gewinn verbunden sein können, wie in Kapitel 8 zu zeigen sein wird. Zuvor allerdings noch eine kurze Darstellung der Rezeption Kropotkins.
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